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Jack Londons „König Alkohol“ – Ein Schriftsteller und seine Sucht

STAND 4.5.2021, 12:43 Uhr Anna-Dorothea Schneider

Jack London hat sich zu Tode getrunken. Er starb vor hundert Jahren, am 22. November 1916, im Alter von nur vierzig Jahren an Nierenversagen. In “König Alkohol” beschreibt er 1913 seinen Weg in die Sucht: klarsichtig, offenherzig – und bis heute aktuell.

Jack Londons „König Alkohol“ – Ein Schriftsteller und seine Sucht

Jack Londons „König Alkohol“ – Ein Schriftsteller und seine Sucht

“König Alkohol” – Ein offenes Selbstbekenntnis

Die Liste prominenter Schriftsteller, die durch Alkohol ihr Leben verkürzten, ist lang. Sie reicht von E.T.A. Hoffmann bis zu Jack Kerouac. Doch nur wenige schrieben so freimütig über ihre Suchtkrankheit wie der Amerikaner Jack London.

Sein Leben verlief wie ein Abenteuer-Roman: London war Zeitungsjunge und Austernpirat, schürfte nach Gold, arbeitete in Fabriken und zog als Landstreicher durch die USA. Später betrieb er eine Farm, züchtete Tiere und wurde Sozialist.

Zwei Leidenschaften prägten dieses wilde Leben: Die Leidenschaft für das Schreiben – und die für den Alkohol, dem er schließlich verfiel. Über seinen Weg in die Sucht hat Jack London sogar ein Buch geschrieben.

Wie Jack London Alkoholiker wurde

Seine “alkoholischen Erinnerungen” schrieb Jack London in einem autobiografischen Roman nieder. “König Alkohol” erschien 1913 und berichtet von seinem Weg in die Sucht: von der ersten Begegnung mit der Alltagsdroge im zarten Alter von fünf Jahren bis zum alkoholkranken Erfolgsschriftsteller, der in den besten Kreisen verkehrt.

Jack London (Foto: Colourbox, Colourbox -)
Eine erste Alkoholvergiftung hatte Jack London bereits im Alter von fünf Jahren – als er für den Vater Bier besorgen sollte und einfach mal probierte… Colourbox Colourbox –

Londons Buch ist offenherzig, klarsichtig, ergreifend – und bis heute aktuell.

Jack London gab seinen alkoholischen Memoiren im englischen Original den Titel “John Barleycorn” – im Angelsächsischen ein scherzhafter Name für Bier und Whisky. Dieser “John Barleycorn” tritt im Roman als allegorische Personifikation des Alkohols auf, ein fiktiver Begleiter des fantasievollen Trinkers, mit dem er innere Zwiegespräche führt.

Jack London charakterisiert ihn im Buch so:

Er ist der König der Lügner. Er ist der ehrlichste Künder der Wahrheit. Er ist der herrlichste Gefährte, wenn man mit den Göttern wandelt. Er steht aber auch im Bund mit dem Nasenlosen, dem Sensenmann. Sein Weg führt zur nackten Wahrheit, zum Tod. Er schenkt uns klare Sicht und trübe Träume. Er ist der Feind des Lebens und ein Lehrer von Weisheit jenseits der Weisheit des Lebens. Er ist ein Mörder mit blutigen Händen und schlachtet die Jugend.

Jack Londons Werdegang und der Weg zum Alkoholismus

Mit fünfzehn arbeitet Jack in einer Konservenfabrik, zehn Stunden am Tag, für einen Stundenlohn von zehn Cent. Weil er nicht sein Leben lang als ungelernter Arbeiter für Hungerlöhne schuften will, beschließt Jack London bei einer Straßenbahngesellschaft eine Ausbildung zu machen.

Hinweisschild im ehemaligen Garten des Schriftstellers Jack London im nördlichen Kalifornien (Foto: Imago, Imago/Fotograf XY -  xWalterxBibikowx/xDanitaxDelimont US05 WBI1668)
Hinweisschild im ehemaligen Garten des Schriftstellers Jack London im nördlichen Kalifornien Imago Imago/Fotograf XY – xWalterxBibikowx/xDanitaxDelimont US05 WBI1668

Er hofft, sich dort zum Elektriker hocharbeiten zu können. Doch statt der vereinbarten zehn muss er zwölf bis dreizehn Stunden im Kraftwerk der Firma Kohlen schaufeln. Er arbeitete für zwei. Als London das durchschaut, kündigt er und geht als Tramp “on the road”. Später hat er darüber einen Roman geschrieben, “Abenteurer des Schienenstrangs” – so der deutsche Titel von “The Road”.

Als Landstreicher befand ich mich hinter den Kulissen der Gesellschaft – ja, direkt im Keller. Ich konnte sehen, wie die Maschinerie funktionierte. Ich sah, wie die Räder der sozialen Maschine sich drehten, und ich merkte, dass die körperliche Arbeit keineswegs jene Würde besaß, von der die Lehrer, Prediger und Politiker mir so viel erzählt hatten. (…) Nicht Muskeln lohnten sich, sondern Hirn. Ich beschloss, nie wieder meine Muskeln zum Verkauf auf dem Arbeitsmarkt anzubieten. Ich würde nur Hirn verkaufen, ausschließlich Hirn.

Suche nach Würde

Im Schnelldurchlauf holt Jack den Highschool-Abschluss nach, obwohl er nebenher jobben muss. London studiert zwei Semester lang in Berkeley, dann ist er finanziell am Ende. Sein Versuch, 1897 beim Goldrausch am Klondike an Geld zu kommen, scheitert. Jetzt probiert er, mit Schreiben etwas zu verdienen und übt sich in allen Formen und Genres.

Jack ist nun Workaholic. Zumindest eine Zeit lang. Er schreibt täglich ein Pensum von tausend Wörtern und schläft nur fünfeinhalb Stunden. Er schreibt Artikel, Reiseberichte, Geschichten und schickt sie an alle möglichen Verlage. Als die Zeitschrift Overland Monthly im Dezember 1898 endlich eine seiner Geschichten für fünf Dollar kauft, beginnt die unaufhaltsame, steile Karriere des Schriftstellers Jack London.

Jack London zeigt japanischen Soldaten seinen Pass. (Foto: Imago, Imago/Fotograf XY - Copyright: Keystone/Zuma/Leemage MPAA083193)
Jack London zeigt japanischen Soldaten seinen Pass. Er arbeitete unter anderem als Korrespondent für das Medienunternehmen “Hearsts” . Imago Imago/Fotograf XY – Copyright: Keystone/Zuma/Leemage MPAA083193

Doch Jack London bekommt Depressionen. Die führt er jedoch nicht auf den Alkohol, sondern auf seinen Intellektualismus zurück. Er erwägt, sich das Leben zu nehmen, doch die Verantwortung für Familie und Freunde hält ihn zurück – und sein politisches Bewusstsein.

Die Tausend-Worte-Regel

Zweimal, 1901 und 1905, kandidierte Jack London als Social Democrat für das Amt des Bürgermeisters von Oakland – leider vergeblich. Er macht sich für das Frauenwahlrecht stark und ergreift als Schriftsteller Partei für die Unterprivilegierten.

Doch Londons Depressionen kommen wieder, und er trinkt weiter. Dabei durchschaut und benennt er die Strategien seines Selbstbetrugs ganz genau.

Wenn man anfängt, »intelligent und vernünftig« zu trinken, ist das ein deutliches Symptom dafür, wie weit man auf dem Weg schon fortgeschritten ist. Dennoch beachtete ich weiterhin die Regel, das erste Glas des Tages nicht anzurühren, ehe nicht meine tausend Worte geschrieben waren. Manchmal allerdings nahm ich einen Tag Urlaub vom Schreiben. Dann war es nicht so wichtig, wann ich den ersten Drink zu mir nahm, da es ja keine Verletzung meiner Regel darstellte. Und da fragen sich die Leute, die das Spiel nie mitgemacht haben, wie die Alkoholabhängigkeit sich entwickelt!

Aufgabe und Aufruf

Sein Alkoholkonsum steigt. Zuletzt gibt er auch die Tausend-Worte-Regel auf. Londons “alkoholische Erinnerungen” münden in einen Aufruf, den Alkohol zu verbieten.

Jack Londons Grabstelle (Foto: Imago, Imago/Fotograf XY - WalterxBibikowx/xDanitaxDelimont US05 WBI1669)
Jack Londons Grabstelle auf dem Gelände seiner Farm Imago Imago/Fotograf XY – WalterxBibikowx/xDanitaxDelimont US05 WBI1669

Jack London stirbt mit vierzig Jahren an Nierenversagen. Zu diesem frühen und schrecklichen Ende hat sein jahrzehntelanger exzessiver Alkoholkonsum beigetragen. Londons Schriftstellerkollege und sozialistischer Freund Upton Sinclair schrieb später einmal über “König Alkohol”:

Es ist sicher eine der köstlichsten Ironien in der Geschichte des Alkohols, dass ausgerechnet das Buch eines Trinkers, der nicht die geringste Absicht hatte, mit dem Trinken aufzuhören, ein Herzstück der Propaganda für die Prohibition werden sollte.